In Usedom erhielt die AfD 57 Prozent der Stimmen – in dem Ortsteil Heringsdorf ist dieser Prozentsatz jedoch signifikant niedriger. Was unterscheidet eine junge Bürgermeisterin dort?

Die Bürgermeisterin von Usedom, die sich stark macht für mehr Demokratie, nimmt rund einen Monat nach der Bundestagswahl eine Gruppe von Wahlhelfern freundlich zur Kenntnis. In dem u-förmigen Konferenzsaal des Rathauses in Heringsdorf haben etwa zwanzig Personen Platz genommen. Das Alter der Anwesenden beträgt im Durchschnitt über vierzig Jahre. Der Raum ist mit Kaffee, Streuselkuchen mit Zwetschgen und Soljanka gut ausgestattet. Laura Isabelle Marisken tritt in ihrem weißen- blauen Blümchenkleid vor und beginnt ihre Ansprache: „Es ist nicht selbstverständlich, dass ihr euch darum bemüht.“ Sie äußert Anerkennung gegenüber den Helfern und teilt mit, dass andere Gemeinden Schwierigkeiten damit hätten, genug Wahlshelfer zu finden. Immerhin verzeichnete Heringsdorf bereits jahrelang stabiles Engagement hierzu. "Vielen Dank dafür," fährt sie fort.

Genau wie die Wahlergebnisse hat Marisken an diesem Nachmittag keine Beachtung geschenkt. Usedom Etwa 57 Prozent der Bevölkerung entschieden für das. AfD In Heringsdorf, wo mit 8.200 Einwohnern die zweitgrößte Gemeinde südlich der Insel an der Ostseeküste liegt, sanken die Zahlen um 14 Prozentpunkte. Seit vielen Jahren bemüht sich dort die Bürgermeisterin, die Bewohner für kommunale Politiken zu interessieren. Die 37-jährige Stadtchefin live-streamt Stadtratsversammlungen und öffentliche Treffen, veranstaltet thematisch ausgerichtete Abende, durchstreift verschiedene Stadtviertel für Teekränze und bietet regelmäßige Bürgergesprächsstunden an. Gleichzeitig stellt sie sich als unabhängige Gewählte weder explizit gegen die AfD zur Wehr. Ihr Ziel ist es, weiterhin einen offenen Dialog mit den Bürgern zu pflegen und diese auf demokratischem Weg erneut zum Engagement anzuspornen. Kann dies vielleicht eine kleine Demonstration dafür sein, wie man die Bedeutung von AfD reduzieren könnte?

Nach der Bundestagswahl meldeten viele Hotelfürsten über ihre Erfahrungen. Usedom Besorgt wegen Stornierungen. Einige Gäste sagten, dass das hohe Ergebnis bei den Wahlen für die AfD sie dazu veranlasste, ihren Plan einer Ferienreise zur Insel fallenzulassen. Ende März zeigt sich jedoch kaum etwas von diesem Unmut in Heringsdorf. Auf der Strandpromenade wandern bereits vor Beginn der Hochsaison dutzende ältere Menschen spazieren. Die Ortschaft ist geprägt durch eine Reihe beeindruckender klassizistischer Villa an Villa mit modernen Mehrfamilienhotels. Jedes Jahr besuchen etwa vier Millionen Touristen diese Gemeinde, um die historischen kaiserlichen Bäder zu bewundern. Hier spielt der Tourismus sowohl eine Rolle als Segensgabe als auch als Herausforderung.

Viele Menschen haben als Proteststimme die AfD unterstützt.

Im Sommer verwandelt sich Heringsdorf fast zur Überfüllung, wobei der Verkehr zum Erliegen kommt und die Bewohner zunehmend frustriert ist, berichtet die Gemeinderätin Dunja Schimmel. Mit Ihrer Initiativgruppe Zukunft Kaiserbäder bemüht sie sich insbesondere um verbesserte medizinische Betreuung und Schulausstattungen. Die Einwohner der Ostseeeilande hätten hauptsächlich aus Frustration und als Protestaktion die AfD unterstützt, erklärt sie weiter. Der Bau neuer Straßen würde viele Jahre beanspruchen, während die Bahnstrecke nach Berlin nicht modernisiert wird – diese Themen beschäftigen die Menschen und lassen sie den Eindruck gewinnen, dass die Bundesebene ihre Belange ignoriere.

Laut Marisken zeigt sich hier ein Manko im System: Die Infrastrukturentwicklung auf dieser Strecke leidet offensichtlich darunter. In den letzten Jahren hat die Kommune einen klaren Rückgang an Zuschüssen vom Land registriert, während gleichzeitig wesentlich höhere Beträge an den Landkreis und das Land abgeführt werden müssen. „Trotz unserer wirtschaftlichen Kraft steht uns bereits vor Beginn der Erfüllung aller obligatorischen Aufgaben ein Defizit bei“, erklärt sie. Dies hemmt verschiedene Infrastrukturanliegen und zwingt zur Einsparung in anderen Sektoren, insbesondere im Bereich des Sozialen. Was eben jenes spezielle Sonderkapital betrifft, das soeben beschlossen wurde – Bundesregierung Sie erwartet keine großen Ergebnisse. "Erst werde ich froh sein, wenn wir von diesem Projekt tatsächlich etwas Greifbares erhalten."

Aufgrund des starken Touristenandrangs verfügt Heringsdorf gegenüber anderen Gemeinden auf der Insel über größere finanzielle Mittel. In den vergangenen Jahren entstand hier beispielsweise eine neue Sport- und Veranstaltungshalle sowie ein Erweiterungsbau an der örtlichen Gesamt schule. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass das Ergebnis der Wahl in Heringsdorf möglicherweise weniger zugunsten der AfD ausgefallen ist. Doch Dunja Schimmel hebt auch Mariakens Einsatz als maßgeblich hervor: „Die Leistung, die die Bürgermeisterin hier bringt, ist wirklich beeindruckend“, unterstreicht sie.

Vieles an dem Misstrauen gegenüber den establisheden Parteien ist auf der Insel weit verbreitet. Die Union gilt als Vertreterin von Geschäftsinteressen, die zwar Stellen schaffen, jedoch auch durch den Tourismusbetrieb die Mieten in die Hohe treiben und notwendige Wohnräume durch Urlaubsunterkünfte für Einheimische verbrauchen. Viele Menschen auf Usedom sind in niedrigen Lohnjobs tätig. Zudem haben sich die Ampelparteien infolge des Regierungsaufstandes in den vergangenen Jahre bei vielen Wählerinnen und Wählern schwer getan.

Engagement statt Politikverdrossenheit

Was die Bewohner von Heringsdorf beunruhigt, zeigt sich auch wenige Stunden später während einer öffentlichen Sitzung nach einem Treffen mit den Wahlführern. Nahezu 200 Personen füllen einen Raum in Ahlbeck, einem Stadtteil nahe dem Rathaus; der Platz könnte für eine Schulklassenstube gehalten werden. Jede neue Person erhält individuell Willkommensgrüße von Mariske. Es gibt drei Leinwände als Projektionsfläche, und die Veranstaltung findet Live-Übertragungen via Internetteilen statt. Der Fokus liegt dabei auf dem HDE-Gebäude – einem baufälligen Bauwerk in Heringsdorf, welches früher ein Kulturzentrum im Rahmen der DDR war. Nahezu jedermann aus der Gegend kann Geschichten zum Thema dieses Gebäudes erzählen. In seiner Blütezeit erlebten hier viele Menschen nächtliche Tanzpartys, schloss man Freundschaften oder begab man sich sogar zur Hochzeitsplanung. Heute jedoch steht es schon fast 15 Jahre lang brach. Obwohl immer mehr Hotels entstehen, sieht man diesen wichtigen sozialen Begegnungsraum allmählich zugrunde gehen.

Beim Treffen wird sich mit einem Modernisierungskonzept befassen. Auf der Bühne befindet sich ein junges Architekturbüro aus Leipzig und zeigt vor, wie man das alte Kulturhaus ins Leben zurückholen möchte. Es ist geplant, einen Tanzsaal einzurichten sowie eine Bar mit großen Glasfenstern zu schaffen. Manche Anwesende nehmen Bilder davon auf; die neuen Entwürfe finden viel Zuspruch.

Nach der Präsentation hat das Publikum Gelegenheit, Fragen zu stellen oder Anmerkungen einzubringen. „Ein Tanzen-Wettbewerb bei Blick auf die Ostsee würde mich interessieren“, schlägt einer vornübergebeugte Mann vor. „Es wäre einfach traumhaft, wenn es im Februar in Ahlbeck auf der Terrassen Möglichkeit gäbe, gemütlich Kaffee unter freiem Himmel in der warmen Sonne zu genießen“, bemerkt eine grauhaarige Dame lebhaft. Ein anerkannter Gastwirt von dort bringt skeptische Frage zum Ausdruck: Wie könnten sie das Zentrum überhaupt rentabel führen? Mehrere Abende pro Woche würden dafür sicher nicht genügen. Die resolute Marisken antwortete ohne Umschweife, dass niemand hier irgendeinen Verfall bauen möchte; vielmehr sollte das Gebäude regelmäßig geöffnet sein. Das Geschäftsmodell ist weiterhin in Arbeit begriffen. „Diese Frau finde ich wirklich beeindruckend“, meinte eine elegant gekleidete Lady am Rand des Saales.

„Es darf kein Gefühl der Diktatur durch eine Obrigkeit bestehen. Beteiligung und Teilhabe sind entscheidend für die Zustimmung“, erklärt Marisken an einem folgenden Tag während eines Gesprächs. Ihr zufolge sehen die Leute nicht wie apathische Bürger aus; es muss ihnen lediglich ermöglicht werden, aktiv zu werden. Auf lokaler Ebene profitiert sie von ihrer Unabhängigkeit partei-politisch gesehen. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben Vertrauen in sie und assoziieren sie nicht mit den Parteien, welche sie ablehnen. „Man weiß genau, wo ich politisch stehe“, betont diese 37-jährige Frau. Bei ihren Diskussionen mit den Bürgern bemüht sie sich jedoch darum, keine fremden politischen Überzeugungen aufzudrängen.

Marisken musste zunächst ihr Vertrauen aufbauen. Ihr Wahlerfolg im Jahr 2019, wo sie als Berlinerin, Westdeutscher und junge Frau ins Amt gelangte, erscheint nahezu wie ein politischer Wundergang. Zu Beginn ihrer Kandidatur galt es mehr als nur mutig; schließlich hatte sie bis dahin als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristenfakultät in Greifswald gearbeitet. Erst ein Jahr vor dem Wahltermin näherten sich Studierende sie an und erkundigten sich nach einer möglichen Kandidatur für Heringsdorf. Sie repräsentierte die Idee eines Außenstehenden mit einem juristischen Profil, um den etablierten Männerklub dort aus seiner Bahn zu werfen. Während des Wahlkampfs besuchte sie persönlich Tausende von Wohnungen, was letztlich dazu führte, dass sie deutlich gegen den aktuellen Amthaber der CDU vorging.

In Heringsdorf ist die AfD schon lange zu einer politischen Wirklichkeit geworden, und im Gemeinderat existiert kein Thema, das vor ihr bewahrt würde. Ohne parteiliche Unterstützung muss Marisken eigene Koalitionen bilden, da sie keine Fraktionsmitglieder hat, die ihr uneingeschränkt zur Seite stehen. Deshalb kooperiert sie auch bei lokalen Angelegenheiten oft mit der AfD. Dieser Partei gehören vier aus zwanzig möglichen Plätzen im Rat an. Die Nachfolgerin der NPD agitiert ebenfalls aktiv in dieser Region. Die Heimat "Mir geht es stets darum, die Entscheidungen rein sachlich zu treffen und ich überlege mir bei jedem Schritt, ob diese für den Ort vorteilhaft sind", erklärt Marisken. Wenn es um Themen wie das Auslegen eines Kreisverkehrs oder die Planung eines neuen Fußgängerwegs geht, sollten politische Überzeugungen nicht im Vordergrund stehen.

Aber führt dies nicht dazu, dass die AfD normalisiert wird? Die Abgeordneten dieser Partei im Gemeinderat zeigten sich respektvoll und agierten pragmatisch. Seit ihrer Wahl ins Amt im Jahr 2019 haben wir bisher keinen einzigen Fall von rechtsextremen Parolen gehört oder gesehen. Es kam auch während ihrer Zeit bislang nicht zu einem einzigen Zwischenfall, erklärt Marisken.

Viele akzeptieren die Rhetorik der AfD.

Nichteinhaltung ihrer neutralen Haltung sorgt für Unruhe auf der Insel. Vor einem Jahr initiierte SPD-Politiker Günter Jikeli den Gründung des Verbunds Demokratie und Weltoffenheit auf Usedom. Unter seiner Führung fand in Heringsdorf ein Protest statt. Als Reaktion darauf lehnte die Bürgermeisterin jegliche Unterstützung durch öffentlichen Strom ab, um sicherzustellen, dass keine politische Präferenz gezeigt wird. Dies hat zu heftigem Widerspruch geführt. „Solche Handlungen hemmen Menschen daran, aktiv im politischen Prozess teilzuhaben“, erklärt Jikeli. Er wäre eher favorisiert worden, wenn eine deutlichere Standpunkt festgelegt wurde. Im Gegensatz zum Vorgehen der Stadtverwaltung bringt Jikeli während privater Gesprächsrunden das Thema AfD unmittelbar ins Spiel. Seine Absicht ist es herauszufinden, was hinter vielen Stimmbildern dieser rechtspopulistischen Kraft steckt. Allerdings gibt er offen zu: Er steht alleine da. Die Mehrzahl möchte kein Risiko eingehen, indem sie Konfliktpotential schafft oder Beziehungen verkompliziert.

Viele Menschen auf Usedom betrachten die AfD nicht als Bedrohung. Sie betonen ständig in ihren Gesprächen, dass Rechtsradikalismus oder Fremdenhass auf der Insel keine Rolle spielen. Selbst Fischsommelier André Domke äußert hierzu seine klaren Gedanken. „Jeder Ausländer, der bei uns Arbeit sucht, wird willkommen geheißen“, erklärt er. Domke sitzt im Inneren seines Fischpavillons in Heringsdorf neben seinem Vater am Tisch. Der Duft nach gebratenem und gerauchtem Hering liegt in der Luft. Das Lokal ist nahezu menschenleer; nur ein junges vietnamesisches Mädchen steht hinter einer Theke bereit für potentielle Kunden. Um sein Argument zu untermauern, ruft Domke zwei Mitarbeiter heran - einen polnischen Senior und einen jüngeren Küchenchef aus Vietnam. Beide fühlen sich wohl auf dieser Insel und erfahren kaum feindselige Bemerkungen. Trotzdem wirkt das Gespräch leicht peinlich und beide scheinen vorführen zu müssen, was sie darstellen sollen.

Herr Domke, der kleine Mann mit dem Bierbauch und den Halbmondgläsern, mischt sich ein: „Schauen Sie her, die Mietpreise gehen nun wieder nach oben – ist denn verwunderlich, dass hier Leute zur AfD tendieren?“ Erstellt seinen Beitrag fügt sein Sohn hinzu, dass er sich jahrelang für die Integration von ausländischen Fachkräften Einsetzen. 20 seiner Mitarbeiter stammen aus Vietnam, während der Rest aus Polen und Deutschland kommt. Viele beginnen hier ihre Ausbildung, die von ihm nach erfolgreichem Abschluss in einen festen Vertrag umgewandelt wird. Obwohl dies jedes Mal eine administrative Hürde darstellt, benötigt sein Unternehmen dringend ausländisches Personal.

Er versteht vollkommen, warum Menschen die AfD wählen. In Polen baut man ständig neue Gebäude, während Sylt eine eigene ICE-Strecke bekommen hat - doch hier fährt man sich monatelang im Stau fest, was natürlicherweise zum Unmut beiträgt. Weder Domke noch irgendeine andere Person in Heringsdorf erwähnt das Thema Migrationspolitik. Es scheint so zu sein, als ob viele Menschen die fremdenfeindlichen Reden der AfD akzeptiert haben oder aber schlichtweg das Wahlmanifest nicht gelesen haben. „Nach der Wahl hatte es einen Triumphgefühl, da man durch seine Stimme der Regierung endlich einmal etwas entgegenzusetzen hatte“, erklärt Jikeli.

Bestätigt wird diese Beobachtung durch die Ergebnisse der Kommunalwahlen im Vorjahr in Heringsdorf, wo sich die Stimmen für die AfD fast um die Hälfte reduziert haben. „Es zeigt sich, dass zunehmend mehr Einwohner lokalorientierte Wählergruppen statt traditionellen Parteien unterstützen“, erklärt Marisken. In Heringsdorf gibt es dafür Initiativen wie die „Initiative Zukunft Kaiserbäder“ unter Leitung von Dunja Schimmel. Offenbar suchen die Bürger nach einer stärker direkt demokratischen Beteiligung und nach Veränderungen. Veranstaltungen zu aktuellen Fragen, offene Diskussionsforen sowie zusätzliche Mittel zur Verbesserung der Infrastrukturen – all dies könnte zwar kein schnelles Heilmittel gegen Rechtspopulismus sein, aber es bildet einen wichtigen ersten Schritt.

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